- Der Prozess gegen die mutmaßlichen Unterstützer des Attentäters von Wien wird eröffnet.
- Der Mann hatte am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Passanten getötet und 23 Menschen teilweise schwer verletzt.
- Angeklagt sind sechs Männer im Alter zwischen 22 und 32 Jahren.
- Die Verteidigung weist die Vorwürfe wegen „bröckelnder Indizienkette“ zurück.
Unter regem öffentlichen Interesse hat am Dienstag am Landesgericht der Prozess gegen sechs mutmaßliche Unterstützer des Attentäters von Wien begonnen, der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Passanten getötet und 23 Menschen verletzt hatte, ehe er von der Polizei erschossen wurde.
„Es geht um die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte“, hielt die Staatsanwältin in ihrem Eröffnungsplädoyer fest, um dann die Namen der vier Getöteten zu erwähnen.
Anklägerin: Ganz Österreich wurde ins Herz getroffen
„Ich bin davon überzeugt, dass jeder Einzelne von Ihnen weiß, was er am Abend des 2. November 2020 gemacht hat“, hatte sich die Anklägerin zu Beginn ihren Ausführungen direkt an die Geschworenen gewandt. Sie räumte ein, sie habe damals selbst „Angst und Panik verspürt“.
Dem Attentäter und seinen Beitragstätern sei es gerade darauf angekommen: „Ein IS-Mann hat im Namen der IS-Miliz einen Terroranschlag verübt und damit nicht nur die Angehörigen, die Familie und die Freunde der Opfer, sondern uns alle, ganz Österreich ins Herz getroffen.“
Die sechs Angeklagten – mit einer Ausnahme den Verfassungsschützern seit vielen Jahren als Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) bekannt – hätten „ursächlich zur Ausführung der Tat beigetragen“ und damit „auf den öffentlichen Frieden abgezielt“.
Eine Spezialeinheit der Justizwache hatte fünf Angeklagte pünktlich um 10.00 Uhr in den fast bis auf den letzten Platz gefüllten Großen Schwurgerichtssaal gebracht. Zahlreiche Medienvertreter aus dem In- und Ausland wohnten der Verhandlung bei.
Ein weiterer Angeklagter befindet sich auf freiem Fuß. Die sechs Männer im Alter zwischen 22 und 32 Jahren waren laut Staatsanwaltschaft zwar nicht direkt am Terror-Anschlag beteiligt, sollen dem Attentäter im Vorfeld aber geholfen haben. Ihnen werden im Wesentlichen die Verbrechen der Beteiligung an terroristischen Straftaten in Verbindung mit Mord, terroristische Vereinigung und kriminelle Organisation vorgeworfen.
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32-jähriger Tschetschene soll vollautomatische Waffen besorgt und dem Attentäter übergeben haben
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Mit ihrer Hilfe soll der Attentäter an seine Waffen und Munition gelangt und in seinen terroristischen Absichten bestärkt worden sein. Ein 32-Jähriger tschetschenischer Abstammung soll ein vollautomatisches Sturmgewehr samt passender Munition sowie eine Pistole besorgt und dem Attentäter übergeben haben.
Nur wenige Stunden vor dem Anschlag sollen der 32-Jährige und ein 24 Jahre alter afghanischer Herkunft sich in die Wohnung des Attentäters begeben und diesem bei den letzten Vorbereitungen zum Anschlag, insbesondere bei der Aufbereitung und Munitionierung der Tatwaffen sowie der Herstellung einer Sprengstoffgürtelattrappe zur Hand gegangen sein.
Die Staatsanwältin bezeichnete das Attentat als „Schreckenstat“. Der Attentäter habe „unschuldige Menschen erschossen, geradezu kaltblütig hingerichtet“. Es sei nur „einem großen Glück zu verdanken, dass in der Innenstadt nicht mehr Menschen ihr Leben lassen mussten“.
Die Anklägerin begleitete ihre rund einstündigen Ausführungen mit einer Powerpoint-Präsentation. Auch ein vom Attentäter vor dem Anschlag aufgenommenes Bekennervideo, das einer der Angeklagten weitergeleitet und das dann IS-Medien übernommen hatten, wurde im Verhandlungssaal abgespielt.
Verteidigung weist Vorwürfe wegen „bröckelnder Indizienkette“ zurück
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Die Verteidiger wiesen die Vorwürfe der Anklagebehörde zurück. „Es ist kein einziger Beweis da. Es sind nur Indizien. Aber die Indizienkette ist nicht schlüssig, sie bröckelt da und da“, stellte Rechtsanwalt Manfred Arbacher-Stöger fest, der einen Angeklagten vertritt, der den Attentäter in seinen Terror-Absichten bestärkt und begleitet haben soll, als diesem das bei der Tat verwendete Sturmgewehr übergeben wurde.
Sein Mandant habe den Attentäter gekannt („Sie sind im selben Gebäude aufgewachsen“), es gebe aber keinen Beweis, dass er je in dessen Wohnung war. Er habe Videos bekommen und weiter verbreitet, „mehr“ sei aber nicht da.
Dessen ungeachtet sitze sein Mandant inzwischen seit fast zwei Jahren „unschuldig im Gefängnis“, monierte Arbacher-Stöger. Dieser sei mit 19 Jahren in U-Haft genommen worden und werde seither im Gefängnis „abgesondert. Nicht einmal seine Mutter darf ihn besuchen“.
Verteidiger Mayer: „Der Rechtsstaat muss Beweise liefern.“
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Verteidiger Rudolf Mayer vertritt einen 24-Jährigen, der gemeinsam mit dem späteren Attentäter vom Wiener Landesgericht wegen terroristischer Vereinigung zu 22 Monaten Haft verurteilt worden war, weil die beiden IS-Propagandamaterial verbreitet und zudem versucht hatten, nach Syrien zu gelangen, um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen.
Im Dezember 2019 wurden beide Männer unter Anrechnung der U-Haft aus dem Gefängnis entlassen. Mayer stellte in Abrede, dass sein Mandant danach weiterhin – wie von der Anklage inkriminiert – treuer Anhänger des IS gewesen sei. Mayer warf der Staatsanwältin vor, insofern unsauber gearbeitet zu haben, als sich in ihrer Anklage wesentliche Punkte anders wiedergegeben fänden als im Abschlussbericht der Ermittler.
„Es gibt keine geschlossene Indizienkette“, betonte auch Mayer. Eine solche sei aber für einen Schuldspruch erforderlich: „Wir befinden uns in einem Rechtsstaat. Und der Rechtsstaat muss Beweise liefern.“
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Die Hauptverhandlung wird sich über mehrere Monate erstrecken. Urteile wird es frühestens im Februar 2023 geben. Den erwachsenen Angeklagten drohen bei anklagekonformen Verurteilungen bis zu 20 Jahre oder lebenslange Haft. Zwei Angeklagte waren im Tatzeitpunkt noch keine 21 Jahre alt, sie müssten daher mit maximal 20 Jahren Haft rechnen. (mw/apa)
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