• Der ehemalige Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel erhebt in der ARD-Dokumentation „Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport“ schwere Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Trainer und den Deutschen Schwimm-Verband.
  • Am Tag des Olympischen Wettkampfes in Barcelona 1992 sei er von seinem Trainer vergewaltigt worden, erzählt Hempel und wirft dem DSV Vertuschung des jahrelangen Missbrauchs vor.
  • Die erschütternde Dokumentation berichtet von weiteren Missbrauchsfällen und zeichnet ein erschreckendes Bild des deutschen Schwimmsports.
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Jan Hempel steht auf dem Sprungturm des Schwimmstadions Piscines Bernat Picornell und blickt in die Tiefe. Hinter ihm sind die Dächer Barcelonas zu sehen, vor 30 Jahren nahm der Wasserspringer an gleicher Stelle an den Olympischen Spielen teil. Ein verunglückter Auerbach-Salto kostete den damals 20 Jahre alten Leistungssportler eine Medaille.

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Für die ARD-Dokumentation „Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport“ kehrte Hempel nun nach Barcelona zurück, um schwere Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Trainer Werner Langer und den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) zu erheben. Langer habe ihn jahrelang sexuell missbraucht, erzählt Hempel. Auch am Tag des Wettkampfes in Barcelona sei er vergewaltigt worden.

„Dann bist du locker und kannst frei aufspringen“, habe Langer gesagt und Hempel dann auf einer Toilette des Olympischen Schwimmbades missbraucht. „Wie weit ging das?“, fragt der ARD-Filmemacher und Investigativ-Journalist Hajo Seppelt. Hempel schweigt lange, er ringt sichtlich um Fassung. „Immer bis zum Ende“, sagt er schließlich. Dann kommen ihm die Tränen.

Jan Hempels Trainer nahm sich 2001 das Leben

Der Missbrauch durch seinen Trainer habe 1982, als er elf Jahre alt war, begonnen, erzählt der ehemalige Weltklasse-Wasserspringer weiter. Erst 1997 fand er die Kraft, sich gegen seinen Trainer zu wehren. Hempel, der am 21. August 51 Jahre alt wird, informierte die damalige Bundestrainerin Ursula Klinger. Klinger, die 2006 verstarb, leitete Schritte ein, um Langer zu suspendieren.

Der Rauswurf Langers erfolgte aber nicht wegen der Vorwürfe der sexuellen Gewalt und des Kindesmissbrauchs, sondern wegen dessen Stasi-Vergangenheit. Langer, der sich 2001 das Leben nahm, konnte deshalb als Schwimmtrainer in Österreich weiterarbeiten.
Weshalb Hempel dem DSV nun Vertuschung vorwirft. „Alle habe geschwiegen, bis heute“, sagt er.

Hempel erhebt Vorwürfe gegen Bundestrainer Lutz Buschkow

Explizit nennt der Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele von 1996 in diesem Zusammenhang den Namen von Lutz Buschkow, der aktuell Cheftrainer Wasserspringen ist und Leistungssportdirektor des DSV war. Buschkow sei bereits 1997 von Klinger über den Missbrauch informiert worden, sagt Hempel, ein anderer Schwimmer bestätigte dies der ARD. Zu einer Aufarbeitung der Vorfälle habe Buschkow aber nicht beigetragen. Die Redaktion der ARD-Doku bat den Trainer, der aktuell bei den European Championships im Einsatz ist, um eine Stellungnahme, erhielt aber keine Antwort.

In dem erschütternden Film, der seit Donnerstagmorgen in der ARD-Mediathek abrufbar ist und am Samstagabend um 22.40 Uhr in der ARD zu sehen sein wird, entsteht der Eindruck, dass der geschilderte sexuelle Missbrauch kein Einzelfall im Schwimmsport ist. Drei Schwimmerinnen, die anonym bleiben wollen, berichten von Übergriffen durch einen Trainer im Nachwuchsbereich. „Er hat vor niemandem Halt gemacht“, sagt eine von ihnen. Bis heute kann sie sich nicht mehr in einer Schwimmbadkabine umziehen.

Auch der ehemalige Leistungsschwimmer Till Michalak berichtet von Belästigungen durch einen ehemaligen Trainer. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio soll ARD-Recherchen zufolge ein Delegations-Mitglied des DSV zwei Frauen verbal belästigt haben.

Die ARD-Dokumentation zeichnet ein erschreckendes Bild des Schwimmsports

Im Februar sorgte der Fall von Stefan Lurz für Aufsehen. Der ehemalige Langstrecken-Bundestrainer wurde vom Amtsgericht Würzburg zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe wegen des sexuellen Missbrauchs einer minderjährigen Leistungsschwimmerin in zwei Fällen verurteilt. Der viele Jahre am Bundesstützpunkt Würzburg tätige Lurz hatte sich bereits in der Vergangenheit mit einer anderen Schwimmerin außergerichtlich geeinigt, die Vorwürfe der sexuellen Nötigung erhoben hatte.

Während der dreijährigen Bewährungszeit darf Lurz eigentlich weder beruflich noch ehrenamtlich als Schwimmtrainer tätig sein. Videoaufnahmen, die der ARD zugespielt wurden, zeigen Lurz aber auf dem Gelände des Schwimmvereins Würzburg 05. Den Recherchen zufolge soll der 45-Jährige dort wieder als kaufmännischer Angestellter beschäftigt sein.

Die ARD-Dokumentation zeichnet ein erschreckendes Bild des deutschen Schwimmsports. „Man ist es anderen für die Zukunft schuldig, dass man darüber spricht“, sagt Jan Hempel. Auch weil bei ihm kürzlich Alzheimer diagnostiziert wurde, entschied sich Hempel, jetzt mit seinen Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn die Krankheit bedroht sein Erinnerungsvermögen. Was ihm angetan wurde, soll aber auf keinen Fall in Vergessenheit geraten.

„Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport“ läuft am 20.08.2022 um 22:40 Uhr in der ARD und ist bereits in der ARD-Mediathek abrufbar.